Mitte April 2016 sind laut Angaben des UNHCR über 400 Menschen im Mittelmeer ertrunken. Diese Katastrophe ereignete sich fast auf den Tag genau ein Jahr nach jenem Unglück, bei dem im April des Vorjahres 800 Menschen vor den Küsten Europas den Tod fanden. Damals war die Betroffenheit und das Mitgefühl mit den Opfern in ganz Europa groß. Das Mittelmeer dürfe nicht zum Massengrab werden, lautete der Tenor der internationalen Gemeinschaft.
Wer heute – ein Jahr später – die Zeitungen aufschlägt, den beschleicht beizeiten das Gefühl, dass das Sterben im Mittelmeer zur Normalität geworden ist. Fast täglich kommen Menschen vor den Küsten Europas ums Leben. Der Ausnahmezustand, der uns noch vor einem Jahr unerträglich erschien, scheint zur Normalität geworden zu sein.
Europa hat im letzten Jahr viel erlebt: Als im vergangenen Herbst für kurze Zeit Österreichs Grenzen offen waren, spürten wir eine Welle der Solidarität mit den schutzsuchenden Männern, Frauen und Kindern. Viele Salzburgerinnen und Salzburger spendeten warme Kleidung, Lebensmittel oder Geld. Hunderte halfen als Freiwillige am Salzburger Hauptbahnhof oder an der Grenze zu Deutschland. Diese gelebte Mitmenschlichkeit gab nicht nur Hoffnung, sie ließ Menschen näher zusammenrücken.
Einige Monate später ist die so genannte Balkanroute Vergangenheit. Der Brennpunkt der internationalen Flüchtlingsbewegung hat sich erneut an die Grenzen Europas verlagert. Für viele ist er damit aus der Aufmerksamkeit verschwunden, obwohl in den Flüchtlingslagern Griechenlands und der Türkei zum Teil katastrophale Bedingungen herrschen. Das Leid der Menschen bleibt gleich oder nimmt zu, während die Aufmerksamkeit dafür abnimmt.
In dieser Situation ist es als Caritas unsere Aufgabe, die Stimme zu erheben, um Menschlichkeit und Mitgefühl einzufordern. Ganz gleich ob in Griechenland, in der Türkei oder in den Häfen Libyens und Ägyptens: Es darf uns nicht egal sein, was an den Grenzen Europas geschieht. Gemeinsam müssen wir helfen, wenn tausende Menschen auf der Flucht oder auf der Suche nach einem menschenwürdigen Leben zu Tode kommen. In einem ersten Schritt bedeutet das, dort hinzuschauen, wo Unrecht geschieht. Und es bedeutet, nicht taub zu werden gegen die Stimmen jener, die unsere Hilfe brauchen.