Meine freiwillige Tätigkeit im Lerncafé
Ich bin Marie-Luise Seisenbacher und helfe seit zwei Jahren einmal wöchentlich für drei Stunden im Lerncafé Liefering in Salzburg.
Ende 2018 begann meine Pension und ich hatte mir davor versprochen, in meinem Ruhestand eine freiwillige Tätigkeit zu übernehmen. Ich arbeite noch in geringem Ausmaß freiberuflich.
Es ist mir in meinem Leben immer gut gegangen, gute Bildung, eine erfüllende Arbeit, keine finanziellen Sorgen, ein schönes Zuhause, gutes soziales Netz usw.
So habe ich auch früher schon wiederholt versucht, dieses Geschenk, das wahrlich nicht allen Menschen gegönnt ist, auszugleichen.
Es war gar nicht einfach und dauerte ein wenig, das „Richtige“, das für mich Passende zu finden– bis ich einen Beitrag über die Lerncafés im ORF sah. Da sagte mein Bauchgefühl sofort und spontan – „Das ist es!“
Ein paar Tage später war ich dort – und bin es heute noch – jeden Montagnachmittag.
Zuerst begleite ich für 1,5 Stunden Schüler*innen der Volksschule, danach Schüler*innen der „Neuen Mittelschule“.
Ich helfe bei den Hausaufgaben, spiele mit den Kleineren und schmiere Jausenbrote.
Es macht viel Freude, diese jungen Menschen mit Migrationshintergrund zu unterstützen.
Die Deutschkenntnisse sind oft noch nicht perfekt, so werden Aufgabenstellungen manchmal gar nicht richtig verstanden und da braucht es Begleitung bei deren Bewältigung.
In „Deutsch“ geht es um Wort- und Textverständnis, Grammatik, lesen, schreiben auf dem jeweiligen Niveau der Schulstufe. Wie schwierig muss es sein, aus einer völlig anderen Kultur mit einer anderen Muttersprache hier in unser Schulsystem einzusteigen.
Aber auch andere Gegenstände wie Mathematik, Biologie, Englisch usw. sind zu erledigen.
Mathematik bringt mich immer wieder an meine Grenzen und auch in ein Gefühl der Hilflosigkeit, weil ich in diesem Bereich oft nicht ausreichend Hilfestellung anbieten kann. In der Mittelschule geht es dann immer mehr in Richtung Vorbereitung aufs Arbeitsleben. Wie schreibt man Bewerbungen, Lebensläufe, etc.
Esra, die Koordinatorin meines Lerncafés unterstützt immer bereitwillig und geht sehr wertschätzend und auf Augenhöhe mit uns Freiwilligen um.
Im Lerncafé lernen beide, die Schüler*innen und ich! Ich muss altes Wissen wieder hervorkramen und stoße an Traumatisierungen aus meiner eigenen Schulzeit.
Was mich immer wieder herausfordert, ist, dass viele Kinder und Jugendliche Probleme haben, sich zu konzentrieren und die Aufmerksamkeit für eine längere Zeitspanne zu fokussieren. Manchmal kämpfe ich auch mit der mangelnden Motivation einiger Jugendlicher. Ich arbeitete in der Hochschul- Berufsausbildung und war es gewohnt, mit Menschen mit hoher Motivation und klaren Zielvorstellungen zu tun zu haben. Es hilft mir jedoch in solchen Situationen, mir zu vergegenwärtigen, dass diese Menschen unter wesentlich schwierigeren Rahmenbedingungen aufgewachsen sind als ich und meine ehemaligen Student*innen. Was haben sie nicht schon alles erlebt in ihren jungen Jahren – Flucht, Angst, den Stress der Anpassung in eine völlig fremde, neue Umgebung, Ausgrenzung, Mangel an Wohlwollen und Toleranz.
Ich ziehe meinen Hut vor diesen jungen Menschen, die sich meist so tapfer durchkämpfen durch unser System, sich anpassen an eine Struktur, die ihnen fremd ist.
So weiß ich wirklich nicht, wer von uns mehr profitiert von dieser Zusammenarbeit – sie oder ich?
Jedenfalls erfüllt es mich mit Freude, ich lache viel und nehme die Energie und Lebendigkeit dieser Kinder und Jugendlichen immer mit nach Hause.
Es ist meiner Meinung nach zwar traurig, dass so viele wichtige Bereiche der Unterstützung und Care im reichen Sozialstaat Österreich zu einem so großen Teil von Freiwilligen geleistet werden müssen, aber so ist die Realität und ich kann Sie nur motivieren, sich eine solche Betätigung zu suchen und Ihren Beitrag zu leisten, die Hand zu reichen, da zu sein, damit andere es ein klein wenig leichter haben im Leben. Sie werden es nicht bereuen!
Marie-Luise Seisenbacher
www.physio-yoga-mbsr.at